AIEP- Geschichte eines Erfolges

AIEP – Die vier Buchstaben stehen für die 1986 in Kuba von Paco Ignacio Taibo II (Mexico) und Julian Semionov (UDSSR) gegründete „Asociacion International de Escritores Policiacos“ (zu Deutsch: „Internationale Vereinigung der Kriminalschriftsteller“).

AIEP sollte den Vertretern des weltweit populärsten Literaturgenres eine Plattform bieten, um einander kennenlernen und um über Grenzen und Ideologien hinweg in einen Dialog eintreten zu können. Bald konnte AIEP Tausende von Mitgliedern in über 20 Ländern verbuchen, kein Geringerer als Georges Simenon fungierte als Ehrenpräsident.

Österreich wurde 1989 offiziell aufgenommen.

Auch nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems blieben die Ziele der AIEP die gleichen: das Kriminalgenre zu fördern, Informationen auszutauschen, Übersetzungen und neue Publikationen zu ermöglichen sowie Zensur energisch zu bekämpfen.

Jedes Jahr wird in einem der 24 Mitgliedsstaaten eine AIEP-Konferenz abgehalten, alle vier Jahre ein Kongress, bei dem ein neuer Präsident gewählt wird.

1996 hat Helga Anderle, in ihrer damaligen Funktion als AIEP-Vizepräsidentin, in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und anderen Institutionen die 10. Jahreskonferenz in Wien organisiert.

Derzeitiger Präsident von AIEP weltweit ist Jim Madison Davis, Vizepräsident für Westeuropa ist Thomas Przybilka.

Weitere Informationen (etwa Mitglieder) finden sich unter www.iacw.org (Abkürzung der englischen Bezeichnung „International Association of Crime Writers“).

Kurze Geschichte des österreichischen Krimis

Die Geschichte des österreichischen Krimis ist nicht die Geschichte des alpenländischen Regionalkrimis, sondern erzählt die Entwicklung des Kriminalromans in Österreich. Nicht der Gendarmerieinspektor Simon Polt, Privatdetektiv Simon Brenner, Polizeimajor Adolf Kottan oder gar Kommissar Rex geben hier den Ton an, sondern die Autoren, die sich der Literaturgattung der Kriminalerzählung oder des Kriminalromans, kurz gesagt des Krimis, schon vor unserer heutigen Zeit gewidmet haben.

Österreichisch?

Kaum hat man das Thema geklärt, stellt sich die Frage, was man mit Österreich und was man mit Krimi meint. Denn so klar ist das gar nicht. Zuerst denkt man an Österreich in seinen heutigen Grenzen. Aber spätestens, wenn man entdeckt, dass schon zu Zeiten der Monarchie in Österreich Krimis geschrieben wurden, fragt man sich, ob man unter Österreich nicht die ganze alte k.u.k. Monarchie verstehen soll. Und was, bitte, hat man damals als Österreich bezeichnet? Vor dem Ausgleich 1867 war auch Ungarn Teil des Kaisertums Österreich. Und Böhmen und Mähren sowieso. Müssen jetzt Krimis von Mailand bis Lemberg als österreichische Krimis herhalten? Oder wie ist das in Zeiten der Republik mit dem Serben Milo Dor, der in Istrien lebte und Krimis auf Deutsch schrieb? Ganz schön verzwickt, die Sache.

Nachdem Literatur wesentlich mit der Sprache verbunden ist, sollten wir nur die deutschsprachigen Krimis im oben so mehrdeutig beschriebenen Österreich betrachten, und nicht etwa die italienischen oder tschechischen. Gibt es dann übrigens den Begriff des Schweizer Krimis oder gibt es ihrer drei?

Neben der Sprache erscheint die nationale Herkunft der Autoren maßgebend und nicht der Ort ihres Wirkens. So ist also Christine Grän (mit der detektivischen Journalistin Anna Marx), die als gebürtige Grazerin in Deutschland lebt, eine österreichische Krimiautorin und der gebürtige Wiener Johannes Mario Simmel (mit beispielsweise dem Geheimagenten-wider-Willen-Roman Es muss nicht immer Kaviar sein, 1960) eine bedeutende Figur des österreichischen Krimis. Da mögen viele Deutsche noch so sehr anderer Meinung sein.

Allerdings ist es in der Anfangszeit des Krimis im deutschsprachigen Raum noch nicht sinnvoll, die Geschichte nur auf österreichische Vertreter des Genres zu beschränken. Das wäre eine willkürliche und verzerrende Darstellung, die nur die halbe Wahrheit zeigt. Die deutschsprachige Literatur hat sich eben nicht nur auf österreichischem Territorium entwickelt.

Mit „Krimi“ sind hier übrigens unterschiedslos alle Formen des Genres bis hin zum Spionageroman und zur Parodie gemeint, insbesondere aber der Kriminalroman im engeren Sinn, der die Geschichte eines Verbrechens erzählt, und der Detektivroman, bei dem es um die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens geht. Eine genauere Definition des Krimis würde den Rahmen dieses Textes sprengen.

Romantische Anfänge und Aufklärung

Fangen wir mit den Vorläufern an: Die ältesten deutschsprachigen Zusammenstellungen wahrer Verbrecher- und Verbrechensgeschichten schrieben Georg Philipp Harsdörffer in Nürnberg (Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte, 1650-52) und der Österreicher Matthias Abele von und zu Lilienberg in Steyr (Seltzame Gerichts-Händel, 1651). Das war mehr als 80 Jahre vor den weitaus bekannteren, einflussreichen und in den Annalen des Krimis so oft erwähnten Causes célèbres et intéressantes des François Gayot de Pitaval (1734-43). Abele darf daher als ein österreichischer Pionier gelten!

Als Begründer der deutschsprachigen Kriminalerzählung auf Basis wahrer Ereignisse gilt der Schlesier August Gottlieb Meißner, der in seiner Sammlung Skizzen von 1778 bis 1796 erstmals nicht nur die Geschichte tatsächlicher Verbrechen erzählte, sondern in literarischer Form auch die Tatmotive und Hintergründe aufarbeitete.

Im Übrigen finden wir die ersten Ansätze ganz fiktiver, also rein der schriftstellerischen Feder entflossener Krimis auch ab dieser Zeit, also um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, und zwar in der romantischen und schauerromantischen Literatur: Friedrich von Schiller (das Drama Die Räuber, 1781, Der Verbrecher aus verlorener Ehre, 1786/1792), Johann Wolfgang von Goethe (Die Geschichte von Ferdinands Schuld und Wandlung, 1795), Christian August Vulpius (Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann, 1798), E.T.A. Hoffmann (Das Fräulein von Scudéri, 1819) und die Österreicher Franz Grillparzer (Das Kloster bei Sendomir, 1828) und Friedrich Halm (Die Marzipanliese, 1856) seien als Beispiele erwähnt. In diesen Werken steht allerdings mehr die durch das Verbrechen erzeugte Spannung im Mittelpunkt als seine Aufklärung; letztere ist ein wichtiger, aber nicht zentraler Teil der Geschichte.

Die Aufklärung ist übrigens ein gutes Stichwort: Der Krimi wird oft als ein Kind der Aufklärung gesehen, in der es dem Menschen gelingt, mittels vernünftigen, logischen Denkens die Welt zu begreifen und die wahren Sachverhalte zu erkennen. Kein Wunder also, dass sich der Krimi seit dieser Zeit entwickelt hat. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte mangels allgemeiner Schulpflicht der Analphabetismus vor und damit auch die Wundergläubigkeit der Menschen. So konnte das Übernatürliche in den teilweise wiederholt gedruckten Erzählungen des Wiener Augustinermönchs und Hofpredigers Abraham à Santa Clara noch um 1700 großen Anklang finden.

Poe vorweggenommen

Heinrich von Kleists Novelle Der Zweikampf (1811) nähert sich schon sehr an die spätere Form des „Whodunnits“ an, bei dem es um die Frage nach dem Täter geht. Und die Geschichte Abner der Jude, der nichts gesehen hat (1825), bei der der Schwabe Wilhelm Hauff Anleihen bei Voltaire gemacht hat und in der Abner kleinste Indizien zur logischen Lösung des Rätsels verwendet, kann als eine der ersten Detektivgeschichten überhaupt gelten – Edgar Allen Poes Detektiv Auguste Dupin könnte sich erst 16 Jahre später ehrfurchtsvoll vor ihr verneigen und Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes überhaupt erst 62 Jahre später. Ebenfalls lange vor Poe, der im englischsprachigen Raum fälschlicherweise als der Erfinder der Detektivgeschichte dargestellt wird, veröffentlichte 1828 der Deutsche Adolf Müllner die Kriminalnovelle Der Kaliber. Aus den Papieren eines Kriminalbeamten, die somit auch um den Ruhm der ersten reinen Detektivgeschichte wetteifern darf. Geschlagen wird Müllner allenfalls noch von dem Hamburger Dänen Laurids Kruse, der 1823 die Quasi-Detektivnovelle Der krystallene Dolch veröffentlichte. Entgegen der landläufigen Meinung ist daher der deutschsprachige Krimi älter als der englische!

Hochblüte des Rätseldetektivromans

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts drängte sich die Auflösung des Rätsels um ein Verbrechen in den Mittelpunkt der Geschichten – auch im englischsprachigen Bereich, allerdings sehr zaghaft: nach Edgar Allen Poes berühmten Geschichten (z.B. Die Morde in der Rue Morgue, USA 1841, übrigens von E.T.A. Hoffmann beeinflusst) rührte sich dort Jahrzehnte lang nichts, ehe Sherlock Holmes die Gunst der Leser in Großbritannien 1887 eroberte. Etwa ab dieser Zeit wurden, hierzulande wie dort, die ersten Romane geschrieben, die das Publikum als Krimis wahrnahm. Es ging um die Auflösung von Rätseln – Wer war’s? Wie geschah’s?

Allerdings ging es in Österreich schon vor Sherlock Holmes los. Bereits ab 1852 publizierte der Wiener Heinrich Ritter von Levitschnigg mehrere Krimis, z.B. Der Diebsfänger (1860). Anton Langer veröffentlichte Kaiser Josef und der Galgenpater 1868 mit großem Erfolg als Fortsetzungsroman im Neuen Wiener Tagblatt. Der Galizier Karl Emil Franzos schrieb 1882 den sozialkritischen „Kohlhaas“-Roman Ein Kampf ums Recht. Und in den deutschen Landen außerhalb Österreichs machten sich unter anderen Ludwig Habicht, Ewald August König, Otto von Puttkammer, Adolf Streckfuß und Jodocus Donatus Hubert Temme, deren Werke auch in Österreich verlegt wurden, um den Kriminalroman verdient.

Diese Beispiele zeigen, dass es im deutschen Sprachraum und eben auch in Österreich schon die längste Zeit eine rege Kultur der Kriminalerzählung gegeben hat, wenngleich sie nicht als eigene Gattung „Krimi“ (das Wort wurde Anfang des 20. Jahrhundert vom Verleger Wilhelm Goldmann erstmals verwendet) in das Bewusstsein der Leser drang. Es waren jedoch vollwertige und ausgereifte Krimis.

Den ersten serienmäßig auftretenden Detektiv der deutschsprachigen Literatur verdanken wir einer Frau. Ihn schuf die Österreicherin Auguste Groner (Pseudonym von Auguste Kopallik) 1889 in Form des Wiener Geheimpolizisten Joseph Müller, noch ehe Sherlock Holmes ins Deutsche übersetzt wurde! Diese neue Kombination von Detektiv und Serie hatte hohen Wiedererkennungswert – Groner publizierte drei Dutzend sozialkritische Krimis bis 1927 – und trug wohl stark zur leichteren Kategorisierbarkeit des Kriminalromans als eigenständige Literaturgattung bei.

Unter dem Pseudonym Balduin Groller schrieb der bekannte österreichische Journalist Adalbert Goldscheider ab der Jahrhundertwende siebzehn Krimis mit seinem Detektiv Dagobert Trostler, einem österreichischen Sherlock Holmes, z.B. Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer.


Auch auf wissenschaftlicher Seite begann man sich im ausgehenden 19. Jahrhundert systematisch für Verbrechensaufklärung zu interessieren. Der Grazer Hans Groß schrieb 1893 das Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen usw., das zu dem internationalen Standardwerk der Kriminologie schlechthin wurde. Zahlreichen internationalen Autoren wie Erle Stanley Gardner und Georges Simenon war es Inspirationsquelle und Nachschlagewerk zugleich. Nur in Österreich nahm die Öffentlichkeit wenig Notiz von ihm.

Zwischenkriegszeit

Der Fall Maurizius (1928) des gebürtigen Deutschen und Wahlösterreichers Jakob Wassermann verkaufte sich in den 1920er Jahren in den USA in gebundener Ausgabe über eine Million Mal – ein ungeheurer Erfolg! In Deutschland schrieb die Österreicherin Thea von Harbou das Drehbuch zu dem Erfolgsfilm M – eine Stadt sucht einen Mörder (1931). Beide Krimis kann man als österreichische Produkte bezeichnen, doch haben ihre Handlungen keinen direkten Österreichbezug und werden deshalb nicht mit diesem Land assoziiert.

Und sogar das sind eher die löblichen Ausnahmen. Es war noch nicht die große Zeit des Krimis aus österreichischer Feder. Wer heute an die Zwischenkriegszeit denkt, entsinnt sich kaum eines österreichischen Kriminalromans, wie z.B. des 1933 entstandenen Ich war Jack Mortimer von Alexander Lernet-Holenia, oder Franz Theodor Csokors Schuß ins Geschäft (1925), oder auch Heimito von Doderers ersten Romans Ein Mord, den jeder begeht (1938).

Fairerweise muss man berücksichtigen, dass Kriminalromane in der Zeit des Dritten Reiches „den Flammen übergeben“ wurden. Das hat auch physisch dazu beigetragen, dass unser kollektives Krimigedächtnis heute große Lücken hat. Der zu seiner Zeit hoch geschätzte Wiener Otto Soyka, Verfasser zahlreicher Detektivromane (Der Schachspieler Jörre, 1930), ist heute kaum mehr bekannt. Ebenso wenig Hugo Bettauers Kriminalromane (Hemmungslos, 1920). Die Österreicherin Annie Hruschka publizierte als Erich Ebenstein zwischen 1909 und 1930 15 Kriminalromane.

Der ebenfalls fast in Vergessenheit geratene Leo Perutz schrieb eine ganze Reihe von Krimis, darunter gemeinsam mit Paul Frank den delirisch-fantasierenden Krimi Der Kosak und die Nachtigall (1927). Der James-Bond-Autor Ian Fleming nannte Perutz den Erfinder des ironischen Spionageromans. Da haben wir also wieder einmal ein verkanntes österreichisches Erfinder-Genie!

Heimatroman und Krimi

Während im angloamerikanischen Sprachraum das so genannte goldene Zeitalter des Rätseldetektivromans von den zwanziger Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg reichte, wurde diese Form des Krimis wegen der NS- und Kriegsjahre, in denen die faschistische Zensur wie in jeder Diktatur den Krimi praktisch zum Schweigen brachte, im deutschen Sprachraum erst rund 20 Jahre später voll rezipiert. Dafür galt der Rätseldetektivroman dann bis in die sechziger Jahre als die typische Formel der Gattung. Spät kam der Krimi, doch er kam.

Sogar der ungemein populäre Heimatroman entwickelte sich aus der Scheinheiligkeit und Bigotterie der Nachkriegszeit da und dort zum Krimi, wie in Hans Leberts post-faschistischem „Antiheimatroman“ Die Wolfshaut (1960). Während der österreichische Heimatroman danach als ausgestorben galt, feiert er seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in seiner Reinkarnation als Regionalkrimi, wie z.B. die Weinviertelkrimis Alfred Komareks, fröhliche Urständ.

Vorurteile werden umgangen

Aber zurück zur Nachkriegszeit. Möglicherweise hat auch die Erinnerung an die zivilen wie militärischen Gräuel der NS-Zeit dazu geführt, dass die deutschsprachigen Leser einen solchen Abscheu vor dem Thema Verbrechen hatten, dass dies das Ansehen der gesamten Literaturgattung Krimi, die sich ja mit der Welt des Verbrechens beschäftigt, arg in Mitleidenschaft zog. Krimis wurden hierzulande noch in den 1960er und sogar 70er Jahren grundsätzlich negativ beurteilt, so als ob sie aus demselben Milieu stammten wie das Verbrechen.

Kamen die Werke hingegen aus einem sympathischen, fremden Land wie England oder Amerika, – korrekter Großbritannien oder den USA, – wurden sie nicht mit einer unliebsamen Vergangenheit assoziiert, sondern vom Publikum verschlungen: Agatha Christie sei als Beispiel genannt.

Schon in der NS-Zeit wurde, wie später übrigens in der DDR, die Meinung propagiert, dass das eigene Volk keine Verbrechen begehe, weil „echte“ Nationaldeutsche bzw. gute Kommunisten das einfach nicht täten. Konsequenterweise konnten dann Krimis, die nicht als Nestbeschmutzung diffamiert werden wollten, nur im Ausland spielen oder Volksverräter als Täter haben. Auch das mag, wie ein zweischneidiges Schwert, gleichzeitig zu einem negativen Vorurteil gegenüber Krimis und zur Popularität ausländischer Schauplätze in Krimis geführt haben.

Und was machten daher österreichische Krimiautoren, um in diesem vorurteilsvollen Markt zu überleben? Sie schrieben pseudo-englische Krimis (die den echten in Spannung gar nicht nachstanden) und legten sich teilweise sogar englische Namen zu! Der Bestsellerautor Louis Weinert-Wilton (Der schwarze Meilenstein, 1935), der schon in der Zwischenkriegszeit in Prag auf Deutsch schrieb, dessen Bücher aber bis in die 1960er Jahre sehr populär waren, könnte uns sonst auch als Alois Weinert bekannt sein. Der NS-Schriftsteller Edmund Finke (Chapman & Cole wird ausgerottet, 1936) ließ seinen Detektiv Harry Lytton Paine in London agieren. Glenn Gordon (Das Rätsel des blauen Whisky, 1956) hieß mit bürgerlichem Namen Fritz Habeck. Die Geschichten spielten typischerweise in London, New York oder anderen angloamerikanischen Metropolen, und der Leser ahnte nichts von ihrem österreichischen Ursprung.

Manche Autoren gingen in ihrer Anglisierung sogar so weit, dass sich Literaturhistoriker bis heute schwer tun, ihre wahre Identität aufzudecken. Florence Palfrey (Die schrecklichen Drei, 1953) publizierte zahlreiche Krimis als angebliche Übersetzung aus dem Englischen, nur hat es diese englischen Bücher nie gegeben, und der Autor war wahrscheinlich ein Österreicher.

Zurück nach Österreich

Wie so oft kann man auch für die Zeit der Anglophilie das Gegenteil belegen: Milo Dor und Reinhard Federmann schrieben einen echt österreichischen Kriminalroman nach 1945, Internationale Zone (1951). Nicht New York oder London, sondern die von den Alliierten besetzte Stadt Wien liefert darin eine dichte Atmosphäre, in welcher der Schleichhandel zum Alltag gehört und einfache Bürger ins Kriminelle abgleiten. Das dürfte der erste deutschsprachige Kriminalroman mit einer Darstellung der harten Realität im Stile Raymond Chandlers und Dashiell Hammetts sein.

Noch früher allerdings, nämlich 1950, publizierte Johannes Mario Simmel einen rein österreichischen Krimi, Der Mörder trinkt keine Milch, der aber in Form und Inhalt noch stark der Tradition des angelsächsischen Rätselkrimis verhaftet ist.

Blüte und Vielfalt

Parallel zur stark steigenden Popularität des Kriminalromans seit den 1970er Jahren erkannten Autoren die Möglichkeit, in ihm auf zeitgemäße Art die Umstände und Probleme unserer Zeit darzustellen, nicht als offene Sozialkritik, sondern unterschwellig und dadurch besonders wirksam. Das brachte auch Nichtkrimi-Autoren wie Michael Scharang (Der Lebemann, 1980), Gerhard Roth (Der See, 1995) und Elfriede Jelinek (Gier, 2000) dazu, ins Krimi-Genre zu wechseln. Manche sahen diese Entwicklung schon in den 60er Jahren voraus: Peter Handke mit dem krimiartigen Der Hausierer (1967) und Peter Rosei, Wer war Edgar Allan? (1967).

Die Vielfalt und damit auch die Menge des (nicht nur) österreichischen Krimis ist seit den 1980er Jahren stark angestiegen und seit den 90er Jahren atemberaubend geworden. Schon 1994 konstatierte der Schriftsteller Karl-Markus Gauß, dass sich seit den 80er Jahren jeder zweite Roman als Krimi verkleidet. Ein Blick auf die Bestsellerlisten bestätigt das im Großen und Ganzen.

Mit der Ausweitung des Genres vom reinen Rätselkrimi in neue Bereiche des Lebens und des schriftstellerischen Schwergewichts entwickelten sich auch in Österreich Spielarten des Krimis wie im angelsächsischen Raum: der Regionalkrimi, (z.B. Ernst Hinterbergers Und über uns die Heldenahnen, 1994, und Elfriede Semraus Zores aus dem rechten Eck, 1994), der Frauenkrimi (z.B. Helga Anderles Sag beim Abschied leise Servus, 1995), der Krimi mit gehandicaptem Ermittler (z.B. Heinrich Steinfests einarmiger Detektiv Cheng), der Psychothriller und der gesellschaftskritische Soziokrimi. Letzterer hat sich jedoch im gemütlichen Österreich bei weitem nicht so stark entwickelt wie in Deutschland, Italien und Skandinavien.

Die Kategorisierung ist nur ein Hilfsmittel, um der Vielfalt Herr (oder, speziell beim Frauenkrimi, Frau) zu werden und Buchhändlern wie Lesern eine Orientierungshilfe zu geben. Die meisten Autor(inn)en lassen sich nicht einfach in nur eine Schublade ordnen. Irmtraut Karlsson (Tod der Trüffelsammlerin, 2002) passt zum Soziokrimi ebenso wie zum kulinarischen (den J. M. Simmel mit seinen Rezepten in Es muss nicht immer Kaviar sein mehr als 40 Jahre früher vorweggenommen hat!), Helmut Zenker (mit der Fernsehkrimiserie und Buchreihe Kottan ermittelt aus den 1970er und 80er Jahren) passt zum „Police Procedural“ ebenso wie zum Regionalkrimi, Edith Kneifl (Zwischen zwei Nächten, 1991) passt zum Frauenkrimi ebenso wie zum Psychothriller. Und dann gibt es da noch Tierkrimis (bekanntestes Beispiel die Fernsehkrimiserie Kommissar Rex, die mehr als ein Dutzend Autoren hatte und teilweise auch in Buchform erschien), Schwulen- und Lesbenkrimis (z.B. Karin Ricks Furien in Ferien, 2004), Serienmörderkrimis (z.B. Edith Schreiber-Wickes Zu viele Zeugen, 2004), historische Krimis (Erich Ballingers Der Gletschermann, 1992, Ernst Moldens Biedermeier, 1999), moderne Terroristenkrimis (Josef Haslingers Opernball, 1995), oder ganz einfach Bestseller wie Wolf Haas’ Wie die Tiere (2001). Viele von ihnen tragen ungefähr seit den 90er Jahren nicht mehr das Label „Krimi“ auf dem Bucheinband, damit sie auch jenen Teil des Publikums ansprechen, der Kriminalgeschichten als ganz normale Romane ohne einschränkende Qualifizierung lesen möchte. Die Bücher verkaufen sich dadurch doppelt so gut. Krimis bleiben sie aber deswegen doch.

Wir nähern uns der Gegenwart, und die „Geschichte“ des österreichischen Krimis sollte hier aufhören, zum einen, weil die Historie mangels ausreichender Distanz nicht mehr scharf genug erkannt werden kann, und zum anderen, weil die Zahl der erwähnenswerten österreichischen Autoren Legion wird. Gott sei Dank! Krimis sind heute allgegenwärtig, nicht nur als Romane in der Literatur, sondern auch im Kino und im Fernsehen.

Die Zukunft ist jetzt

Ein kurzer Blick in die andere Richtung sei jedoch noch gestattet. Die Zukunft des österreichischen Krimis hat ihre Wurzeln in der Gegenwart. Nachwuchsleser erfreuen sich der Jugendkrimis des Thomas Brezina (Die Knickerbocker-Bande), eines der erfolgreichsten Jugendkrimiautoren aller Zeiten, mit einer verkauften Auflage von über 40 Millionen rund um den Globus, davon viele Millionen in China.

Und wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen: Wer einmal Krimis liest, hört damit nicht auf. Rosige Aussichten für Krimiautoren. Wie würde Günter Brödls Kurt Ostbahn (Hitzschlag, 1996) sagen? „So schaut’s aus!“

(c) Richard Donnenberg 2005/2015